Interview mit Xue Xinran – Sprachrohr von Chinas Frauen

Interview mit Xue Xinran – Sprachrohr von Chinas Frauen

Die Schriftstellerin im Gespräch mit Lena Knake

Xue Xinran wurde 1958 in Beijing geboren. In den 80er und 90er Jahren war sie in Nanjing als Radiojournalistin tätig. Mit ihrer Sendung „Worte in der Nachtbrise“ wurde sie in ganz China und Teilen Asiens berühmt. Seit 1997 lebt sie mit Mann und Sohn in London, wo sie seitdem über das Leben chinesischer Frauen schreibt. Sie arbeitet außerdem für den Guardian und gründete die Wohltätigkeitsorganisation „Mother‘s brigde of love“. Am 17. März 2005 stellte Frau Xue den Hamburger Lesern ihr neustes Buch „Himmelsbegräbnis“im Museum für Völkerkunde vor. Die Hamburger China- Nachrichten sprachen vor der Lesung mit der Autorin:

 

HCN: Sie möchten mit Ihrem Vornamen angesprochen werden, also Xinran, wie war das damals beim Chinesischen Hörfunk?

Xinran: Unser Sender in Nanjing war eigentlich ein Störsender, mit ungewöhnlich großer Reichweite für ein lokales Radio, also waren wir vermutlich der Zentralregierung in Beijing unterstellt. Ich hatte ein zweistündiges Kulturprogramm, das ab Mitternacht gesendet wurde, zu einer Uhrzeit, zu der die meisten Arbeiter und Bauern schon schliefen. Aber es gab auch zwischen 5 und 10 Minuten in der Sendung, in denen die Hörer, viele gebildete Stadtbürger, anrufen und Fragen zum täglichen Leben stellen konnten. Ein eigenes Telefon besaßen ohnehin nur die wenigsten, so blieben die Themen belanglos; Kinder, Küche und Kollegen. Doch das Interesse der Zuhörer war geweckt worden und wurde immer größer, so dass ich unzählige Briefe von Hörern bekam. Darunter waren viele Briefe von Frauen, die von Missbrauch, Unterdrückung und Demütigung handelten. Viele der Frauen waren immer noch von der Kulturrevolution traumatisiert.

 

HCN: 15 dieser unterdrückten Stimmen drangen 2003 mit Erscheinen Ihres Buches „Verborgene Stimmen“ doch ans Licht. Wie waren die Reaktionen darauf in China?

Xinran: Den Freunden, denen ich die ursprüngliche Fassung mit doppelt so vielen Berichten zum Lesen gab, konnten Tage lang nicht darüber sprechen, so entsetzt und erschüttert waren sie.

 

HCN: Und als es schließlich auf dem Markt erschien?

Xinran: „Das Buch erschien im September 2003. Als wir nach zwei Monaten an die vierte Auflage gehen wollten, bekamen es die Verleger mit der Angst zu tun. Das Buch verkaufte sich zu gut und man hatte Angst vor den Reaktionen der offiziellen Stellen Es sei zeitlich einfach noch zu nah an der Kulturrevolution - alte Menschen könnten Herzattacken erleiden, wenn sie das Buch lesen würden. Aber ich sehe auch heute noch meine Arbeit darin, Augenzeugenberichte zu sammeln, die es in den staatlichen Archiven über diese „chaotische Zeit“ nicht gibt.

 

HCN: Sie leben aus gesundheitlichen und familiären Gründen seit 1997 in London. Bekommen Sie heute noch Zuschriften von Ihren Hörerinnen?

Xinran: Nein. Die meisten wissen nicht, wo ich heute lebe. Ein ehemaliger Kollege vom Rundfunk in Henan berichtet mir oft über Anfragen. Viele Hörerinnen sind sauer, dass ich einfach gegangen bin. Es gibt andere, die warten darauf, dass ich eines Tages zurückkehre.

HCN: Wie empfinden Sie den Unterschied zwischen Frauen in China und denen im Westen? Sind wir hier gleichberechtigt?

 

Xinran: Ich dachte natürlich, dass die Frauen im Westen alle wahnsinnig frei seien. Aber das stimmt nicht, im Gegenteil. Sie müssen manchmal doppelt soviel arbeiten, wenn sie in der Gesellschaft als gleichberechtigt gelten wollen. Sie gehen arbeiten, machen den Haushalt und beim Abendessen stellen sie ihrem Mann immer noch das Essen hin, bevor sie sich selbst etwas nehmen. Aber ihre Freiheit ist trotzdem groß im Gegensatz zu der vieler chinesischer Frauen. Ich habe gelernt, dass man bei dem Thema Gleichberechtigung über unterschiedliche Zustände in den Städten und auf dem Land sprechen muss, und darüber, was die Frauen wirklich brauchen, nicht darüber, was wir gerne hätten.

 

HCN: Pflegen Sie Kontakte zum Allchinesischen Frauenverband?

Xinran: Noch nicht, ich war in deren Büro, stoße dort aber auf wenig Gehör mit meinen Anliegen. Die arbeiten dort anders, als ich es mir vorstelle. Das geht alles sehr langsam.

 

HCN: Ihr neuestes Buch heißt „Himmelsbegräbnis“ und ist die Aufarbeitung der Liebe einer Chinesin zu ihrem vermissten Mann und ihrer 30-jährigen Suche nach ihm in Tibet. Trotzdem kein dickes Buch. Wie ist es entstanden?

Xinran: Jemand rief mich an und fragte, ob ich an der Geschichte einer Chinesin interessiert sei, die lange in Tibet gelebt hatte. Natürlich hatte ich Interesse, denn man erzählte sich schon seit den 60er Jahren immer wieder von der damals jungen Frau, die ihrem Mann nach Tibet gefolgt war.

 

HCN: Wie war Ihre Zusammenarbeit mit Shu Wen?

Xinran: Ich war damals zu ignorant und habe der Frau viel zu wenig glauben können. Ihre Geschichten klangen abstrus in meinen Ohren. Ich habe nur 2 Tage mit ihr verbracht. Ich wusste nicht, welche Fragen ich ihr stellen sollte und ich habe sie nur teilweise verstanden, weil sie tibetische Worte benutzte. Doch ich wollte ihre Geschichte unbedingt schreiben und habe deswegen ein Jahr lang die Details für mein Buch mit einem Kamerateam in Tibet selbst recherchiert.

 

HCN: Auch das Himmelsbegräbnis? (buddhistisches Ritual, d. R.)

Xinran: Natürlich. Aber ich kann es mir nicht ansehen.

 

HCN: Ihr nächstes Buch, „Mrs. Chopstick“ soll von der Mutter-Kind-Generation im zukünftigen China handeln. Wo und wie recherchieren Sie für dieses Buch?

Xinran: Ich reise sehr oft nach China und spreche dort mit Menschen, meistens mit Mädchen und Frauen. Meinem Sohn sage ich immer: egal, wo du in China hinreist, nimm den Zug, dann siehst du etwas vom Land! China ändert sich rasant, aber die Menschen können mit dieser Entwicklung kaum noch mithalten. Sie brauchen vor allem auf dem Land noch Bildung. Mich rief mal eine Schwiegermutter an, die sagte: „Wenn du meine Tochter gegen ihren Ehemann aufbringst, dann bringe ich dich um.“ So etwas gibt es nicht selten und meine Antwort lautet einfach: Ihr habt beide Recht!

 

HCN: Herzlichen Dank für das Interview!

 

(LK)